Gendergerecht – muss das echt sein?
Als ich in dem letzten Unternehmen, in dem ich gearbeitet habe, einen Beitrag für das interne Magazin zu gendergerechter Sprache schrieb, fragte eine Kollegin in einem Meeting abfällig, ob wir denn jetzt das ganze Unternehmen gendern würden. Mir war klar, dass ich mit dem Thema auf viel Kritik stoßen würde und insbesondere die Frage nach dem Warum kam mehr als nur einmal.
Am liebsten hätte ich jedes Mal nur „Warum nicht?“ erwidert. Denn tatsächlich habe ich noch nie verstehen können, warum wir nicht einfach gendergerecht schreiben sollen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht finde ich es spannend. Unsere Sprache ist in einem ständigen Wandel, sie ist nicht statisch, sondern entwickelt sich immer weiter. Wenn wir heute ein Buch lesen, dass vor hundert Jahren geschrieben wurde, liest es sich vollkommen anders als ein Buch, das im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Ich finde das großartig, denn es erlaubt uns, unsere eigene Sprache mit zu gestalten.
Die Macht unserer Sprache
Aus gesellschaftlicher Sicht finde ich es nur konsequent, unsere Sprache so zu gestalten, dass sie niemanden ausschließt. Unsere Sprache ist mächtig, kann bewegen und Emotionen auslösen, Dinge verändern. Ich persönlich habe mich nicht ausgeschlossen gefühlt, wenn in einem Text nur das generische Maskulinum genutzt wurde. Warum fühlte ich mich nicht ausgeschlossen? Weil ich es nicht anders kannte. In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich es mit wenig Aufwand anders schreiben kann, wollte ich es auch anders schreiben.
Zurück zum Text, den ich damals für das Unternehmen geschrieben hatte: Ich hatte das große Glück, dass mein damaliger Chef mich in diesem Vorhaben unterstützte und mich fragte, wie wir es hinkriegen könnten, alle internen Texte gendergerecht zu schreiben, ohne dass es zu allzu großen Diskussionen führen würde. Ich antwortete ihm, dass wir es so schreiben würden, dass niemand merkt, dass wir gendergerecht schreiben. So würde sich unsere Sprache nebenbei weiterentwickeln und irgendwann würden viele Begriffe automatisch genutzt werden. Und genau das taten wir dann auch.
Die Freude am Lesen soll bleiben
Genau das ist bis heute mein Ziel bei gendergerechter Sprache: Ich möchte die Ästhetik der Sprache bewahren, das Lesen eines Textes soll den Lesenden Freude bereiten. Und das ist gar nicht so schwer. Mit ein wenig Übung und einigen Hilfsmitteln lassen sich für viele nicht-gendergerechte Begriffe Alternativen finden, manchmal genügt es, den Satz umzustellen oder etwas wegzulassen. Das Wichtigste dabei: Alles kann, nichts muss und der Text muss immer stilistisch zum Thema und Inhalt passen.
Ich glaube, würde mich heute wieder jemand fragen, warum denn ein Text gendergerecht geschrieben werden sollte, würde ich wirklich einfach nur antworten: Warum nicht?