Mein Unterricht mit geflüchteten Frauen
Heute möchte ich euch von einem Gespräch berichten, dass ich vor einigen Tagen in meinem Deutschkurs hatte. Ich unterrichte ehrenamtlich eine Gruppe geflüchteter Frauen. Den Unterricht gestalte ich oft sehr spontan, denn ich weiß nie, wie viele Frauen kommen werden. Außerdem sprechen die Frauen sehr unterschiedlich gut Deutsch. Manche sind schon sehr weit, andere verstehen fast nichts, aber alle sind sich einig, dass es ihnen hilft, viel zu sprechen. Also reden wir ganz viel und machen dabei dann Übungen in den Bereichen Grammatik und Aussprache. Für mich selbst ist dieser Unterricht sehr lehrreich, denn mir wird immer wieder bewusst, wie schwer es sein kann, eine Fremdsprache zu lernen und vor welchen Herausforderungen die Lernenden dabei stehen. Letzte Woche machten wir ein paar Übungen zum Thema Einzahl und Mehrzahl und wir konjugierten Verben.
Wann benutze ich eigentlich was?
Während unserer Übungen stellten mir die Frauen viele Fragen, die mich oft zum lachen, vor allem aber zum Nachdenken anregten. Wir redeten über den Unterschied von „mögen“ und „lieben“ (Erklärung von einer der Frauen: Kinder benutzen eigentlich immer „lieben“), diskutierten, warum „möchten“ höflicher als „wollen“ ist und übten die Aussprache des Wortes „möchten“. Das ist übrigens besonders schwierig, wenn es in der Muttersprache keine Umlaute wie „ö“, „ä“ und „ü“ gibt. Eine der Frauen, die bereits einige Sprachkurse erfolgreich absolviert hat, stellte mir irgendwann die Frage, wann sie denn Konjunktiv eins „Er könne“ und wann Konjunktiv zwei „Er könnte“ nutzen müsse.
Theorie trifft auf Praxis
Ich erklärte es ihr und dann sagte sie: „Ja, das verstehe ich, aber wann muss ich es wirklich benutzen, wenn ich mich mit jemandem unterhalte?“ Sie wollte wissen, ob es einen Unterschied in der Nutzung gibt, wenn sie einen Text schreibt oder wenn sie spricht. Ich dachte kurz darüber nach, denn eigentlich sollte es dabei keinen Unterschied geben. In der Praxis hingegen nutzen die wenigsten Menschen die richtige grammatikalische Form im täglichen Sprechen. Also entschied ich mich, ihr das genauso zu erklären, denn warum soll sie jedes Mal versuchen, die richtige Form zu nutzen, während Deutsche das nicht tun. Mir war dabei vollkommen bewusst, dass das vielleicht nicht die Antwort war, die ich als Lehrerin hätte geben sollen, aber es war die ehrlichste Antwort, die ich nur geben konnte.
Wenn zu hohe Erwartungen dem Sprechen im Weg stehen
Die junge Frau war sichtlich erleichtert, denn sie erklärte mir, dass sie sich auf nicht traute, zu sprechen, weil sie Angst hatte, einen Fehler zu machen. Ich kenne dieses Gefühl, denn ich bin bei mir selbst ganz besonders kritisch und möchte in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist, möglichst fehlerfrei sprechen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es niemanden außer mich selbst stört, wenn ich doch mal einen Fehler mache, denn das gehört zum Lernen dazu. Ich sagte also in die Runde, dass es mir überhaupt nicht wichtig ist, ob sie alles immer richtig sagen, sondern dass sie überhaupt reden. Zudem würde ich mich wahrscheinlich selbst sehr schwer tun, wenn ich plötzlich anfangen müsste, ihre Muttersprache (persisch) zu lernen. Darüber mussten alle herzlich lachen und ich merkte, wie sie sich entspannten und Vorschläge machten, was wir in der nächsten Stunde gemeinsam machen könnten.
Die Erwartungen an die Lebensrealität anpassen
Als ich nach Hause ging, wurde mir klar, unter welchem Druck viele Menschen stehen, die unsere Sprache mit teilweise komplizierten Lehrbüchern erlernen und Prüfungen ablegen müssen, um hier arbeiten zu können. Fair ist das nicht, denn in unserer täglichen Umgangssprache nutzen wir alle längst nicht immer die richtigen Formen und auch uns passieren Fehler. Darum werde ich ab sofort einmal öfter darauf hinweisen, dass sie sich trauen sollen, viel zu sprechen. Denn: Ihr Gegenüber macht es ganz bestimmt oft auch nicht besser. Und so mache ich es auch in meinen Online-Sprachkursen. Es ist wichtig, zu sprechen, ob mit Fehlern oder ohne, traut euch!